Von der Hoffnung

Von der Hoffnung

Sternklar wie im schönsten Märchen war die Nacht und still und feierlich so wie ein ernster Kuß, und der runde Mond schimmerte grad wie geputztes Elfenbein. Das üppige ungeschnittene Gras wiegte sich flüsternd unter den sanften Liebkosungen des Windes, und die Luft war erfüllt vom Duft süßer Pflanzen, wie durchhaucht von den Dämpfen elfischer Liebesfeuer. Eine wilde Rose wuchs einsam im Grase, und ihre Blüte war rot wie das Blut und so zart wie der Flügel des Schmetterlings. Und rings umher lagen des Schlafes Schwingen träumerisch gebreitet, und Stille war. Jedoch vom Tale herauf löste sich bald aus den Schatten der Nacht eines Wanderers Gestalt und kam, wie trunken, wie in lebendigem Traume wandelnd durch die Wiese heran. Den Flecken der Rose aber erreicht und den Gipfel des sanften Hügels, blieb er stehen, wandte sich um und schaute zurück, und der Schein des Mondes fiel auf sein Gesicht. Es war ein Knabe, kaum noch dem Kinde entwachsen, und obwohl auf seinem hübschen Angesicht alle Zeichen des Schelmes und des kindlich übermütigen Tunichtgutes zu finden waren, lag jetzt doch eine Verklärung auf der jungen Miene, eine schmachtend sehnende Verzückung, die all den Sturm seines wild schlagenden Herzens so ganz und gar verriet. Das Haar so hell wie die Mittagssonne und kurz wie ein Stoppelfeld und Augen wie Meer und Himmel zugleich, so warf er sich ins Gras, seufzte tief und blickte voll Sehnsucht hinauf nach dem Mond.

Leise, fast brüderlich, säuselte der Wind um seine nackten Füße. Langsam wanderte der Mond auf seiner Bahn hin. Und in sicherer Entfernung steckte, von des Knaben Schritten aus süßem Schlummer geweckt, ein Maulwurf den Kopf aus einem seiner Hügel. "Wer ist da?" fragte er in die Nacht. Er war so gut wie blind, und mit des Knaben Geruch wußte er nichts zu verbinden. "Ein Knabe ist's, ein junges Blut", riefen die Grillen und sprangen entzückt von Halm zu Halm herbei. Sie waren leidlich romantische Selchen und liebten alles, was schön und besonders und darunter vor allem, was jung war. "Aber warum liegt er da und seufzt so herzerweichend? Ist er krank?" "Er träumt", zirpten die Grillen zuckersüß, "und er sehnt sich im Traum seine Liebste herbei. Sie wird kommen, eh der Mond noch im fernen Wald versinkt, denn sie weiß, daß er hier ist." "Er ist sehr jung", sprach der Maulwurf, "beinahe noch ein Kind. Er gehört wohl in sein Bett und nicht in die launischen Arme der Liebe." "Die Liebe, die Liebe" sang die Nachtigall und senkte ihren Flug sacht hinab ins Gras, "die Liebe kennt nicht alt noch jung. Zeit kümmert sie so wenig wie der Wind den Sonnenstrahl. Manche küßt sie früh, andre spät und viele gar niemals. Sie ist ein seltenes Gut." "Ooo", machten die Grillen und zirpten andächtig, "wie schön gesprochen, wie fein gesagt." "Ach daß ich das erleben darf", seufzte die Rose und schwankte, einer süßen Ohnmacht nahe, vor und zurück. "Nie hätte ich's noch zu hoffen gewagt, daß Liebende in meinem stillen Kreise sich treffen. Wenn die Schwestern im Tale das erführen, so wollten sie allesamt vor Neid erblassen. Aus seiner Hand soll ich zum heiligen Zeichen in die ihre gegeben werden, und sie wird mich verschämt nach ihrer Kammer tragen. Ihre sanften Augen werden auf mir ruhen, und mein Anblick wird sie von ihm träumen machen. Ich werde das verschwiegene Symbol ihrer Liebe sein, das feierliche Siegel der Wahrheit unter den Worten, die er ihr gesprochen, und ich werde in höherer Schönheit erstrahlen für sie und werde ihr sprechen von ihm; von seinen Augen, seinem Haar, von seinem Gang und vom Klang seiner Stimme, o, von seinem Mund. Und sie, sie wird sich nach ihm sehnen und ihn nicht vergessen, und so werde ich, ihm treu und ihr ergeben, der jungen Liebe zarte Funken zu Flammen schüren." Und sie reckte sich dem Jüngling entgegen. "Pflück mich! Bitte pflück mich!"

"Wer mag sie sein?" sprach der Maulwurf ergriffen und kletterte aus seinem Hügel ganz hervor. "Ob sie wohl schön ist?" "O gewiß", sang die Nachtigall, "sie wird die Schönste der Schönen der Menschentöchter sein; zart und lieblich wie die Lilien auf dem Felde und rein so wie ein junger Quell. Ihr Haar ist lang und seidig und fließt in sanften Wellen, so wie goldner Regen fällt. Ihre Augen sind grüner als die funkelnsten Smaragde und ihre Haut so weiß wie die unbefleckten Blüten der ersten Maiglöckchen im Frühling." "Schlank soll sie sein!", riefen die Grillen hingerissen, "schlank und schön, wie die junge Birke drunten am Bach." "Im Gegenteil, barock!", sagte der Maulwurf. "Mir wäre sie mollig am liebsten. Da hat man es warm und findet im Dunkeln leichter zu ihr. Ihr Haar aber soll schwarz sein und schwarz ihre Augen; schwarz wie von der Nacht gemalt, zum darin Versinken wie in der süßesten Träumerei." "Was, wenn sie häßlich ist?" warf eine haarige Spinne im Vorüberfliehen ein. Sie hielt nicht viel von Gesellschaften, konnte sich aber eine spitze Bemerkung niemals verkneifen. "Oder stachelig", rief ein dahergaloppierender Igel, der sich die Nacht damit vertrieb, die haarige Spinne zu jagen und zu benagen. Grillen und Maulwurf schwiegen bestürzt, aber die Nachtigall wußte die richtigen Worte. "Igel liebt Igelin , und die Spinne liebt den Spinnerich. Die Liebe kennt häßlich nicht für, jene, die sie umfängt. Sie blickt mit Wunderaugen auf die Welt, und wer gnädig von ihr berührt, schaut alles ebenso, wie er es noch schmachtend geträumt, und wer von ihr gefangen, wirft all' Maß und Note lachend hinter sich. Wem es anders ergeht, dessen Liebe ist nicht wahr. Schaut in euch selber nach." "Ooo!!!", machten die Grillen und zirpten im Chor, daß es im Grase widerhallte. "Eine mächtige Zauberin ist die Liebe, und eine begnadete Künstlerin die Nachtigall. Doch lauscht! Es kommt jemand. Wir müssen uns verbergen, rasch!" Und sie sprangen von ihren Halmen hinab ins tiefe Gras. Der Maulwurf duckte sich und kniff die Augen zu, und die Nachtigall hob sich hinfort in die Lüfte; denn im Grunde des Hügels hatten sie einen zierlichen Schatten erblickt, der zu nahen schien.

Sternklar, wie im schönsten Märchen, war die Nacht und still und feierlich, so wie der erste Kuß. Des Mondes letzter Gruß huschte sacht über Hügel und Feld, und schlafend lag das dunkle Land. Vergebens jedoch hatten die Tiere sich verborgen, denn es blieb weiterhin eben so still wie es war, und der einzige Wandrer, der den Hügel erklomm, war der Wind, der voll dunklem Sinn durchs flatternde Gras herbeischlich. Der Maulwurf öffnete als erster die Augen, und er guckt ein wenig enttäuscht in die Runde. "Es war wohl doch nur die Birke im Tal, die der Wind im Vorübergehen geschubst hat. Niemand ist gekommen." Und sie versammelten sich wieder um den Knaben und betrachteten ihn und flüsterten miteinander. Er lächelte noch immer und sein Gesicht und seine Augen und selbst auch die Nase und alles sonst war Zuversicht, und die Nachtigall sprach zu den Tieren, denn diese waren bekümmert - besonders die Grillen. "Seht!" redete sie also und deutete mit dem Flügel auf den Menschensohn. "Seht hin! Er macht es richtig. Er hört nicht auf zu hoffen, denn seine Liebe ist wahr und tief. Pfui drauf und ewig faules Gras zur Speise, dem seine Flamme Zuversicht unter dem kleinsten Wölkchen Zweifel schon verlischt. Schaut Freunde! Und lernt!" Und die Tiere schauten und lernten als, und sie warteten weiter und waren geduldig, denn die Nachtigall kannte sich aus in derlei Angelegenheiten. Und wieder glaubten sie jemanden nahen, und wieder verbargen sie sich im Grase und lauschten gespannt. Und wieder waren sie getäuscht. Und wieder und wieder und wieder. Und die Tiere warteten, und der Knabe wartete. Und die Nacht verging.

Viele Stunden nach dem Monde dann, und als die Nacht sich zu lichten begonnen und das Gras ganz dunkelrot zu leuchten, und die Tiere zum ungezählten male sich verborgen und gelauscht und wieder hervorgekommen und sich beraten hatten, da wurde es selbst auch der Nachtigall zu viel - die Grillen übrigens waren schon lange auf und davon -, und sie sagte zum Maulwurf: "Das ist selbst auch mir zu viel. Der da ist nicht verliebt! Der da ist ein Tor! Wie lange ist es nun her, daß er Hoffnung für Tränen getauscht, und was macht er nicht für einen Lärm, der jämmerliche Knirps? Das ist nicht Liebe mehr, das ist der Wahnsinn, und es bedarf vielmehr eines Arztes denn einer Nachtigall." Und sie schwang sich in die Dämmerung hinauf und flatterte hochschnablig davon.

Allein der Maulwurf blieb da, und er saß ganz dicht bei dem Unglücklichen, so daß sein weiches Fell beinahe dessen Wange berührte. Und er war der letzte, der die Tränen fallen hörte, und geduldig ließ er sie über seinen Pelz kullern. Und er schwieg, denn es gab nichts zu besprechen. Maulwürfe sind so gut wie blind. Und sie sehen darum so viel viel mehr. Er hätte gewiß noch ewig gewartet, denn nirgends ist mehr Hoffnung als im Herzen eines Maulwurfs. Doch als der Morgen anbrach, da war der Knabe eingeschlafen, denn nur so auch sein Schmerz. Und ferne, ganz fern im trüben Grund des Tales da wanderte auch ein häßliches Menschenpaar vorbei. Und die Nachtigall? Sie sang dazu! Und die Rose ward niemals gepflückt.

© Marc Fey

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